Er ging in Neusiedl am See in die Lehre und kocht heute in Berlin eine ganze eigene, radikale Interpretation von pannonischer Küche: Zu Besuch bei Zwei-Sterne-Koch Sebastian Frank im Horváth.

„Man kann sagen, ich bin klassisch groß geworden mit Wurstnudeln, Schinkenfleckerl und Grenadiermarsch“, sagt Sebastian Frank. Er lacht, dass der Göffel, eine Symbiose aus Gabel und Löffel, die auf seinem rechten Unterarm tätowiert ist, leicht vibriert.
„Grenadiermarsch“ ist kein Wort, das jemand in der Gegend, in der wir sitzen, verstehen würde. Würden wir Passanten fragen, die auf dem Gehsteig sowie am angrenzenden Kottbusser Damm auf und ab laufen, würden es die einen vermutlich für ein reaktionäres Volkslied halten, die anderen vielleicht auf einen Roman von Joseph Roth tippen. Andere würden einen schlichtweg für übergeschnappt halten. Schließlich befinden wir uns am Paul-Lincke- Ufer in Berlin-Kreuzberg. Im Herzen eines bunten, nicht immer einfachen Chaos, wo Protestbewegung und Porsche Tür an Tür wohnen und wo Problemkiez (schwierige Viertel, Anm. d. Red.) mit Penthouse kollidiert – wo aber auch schon immer besondere Orte von kulinarischem Wagemut entstehen.

An diesem dünnen Flussarm der Spree liegt seit zehn Jahren das Reich von Sebastian Frank; Küchenchef und Besitzer des Horváth, 2-Sterne-Koch, 2018 auf der maßgeblichen Messe madridfusion zum besten Koch Europas gewählt. Ein kulinarischer Grenzgänger, der für seine Interpretation von Tradition gefeiert wird. Es ist eine Geschichte, die als 14-jähriger Lehrling im Hotel Wende in Neusiedl am See beginnt – und da auch ihr FIATA-Autor in Neusiedl am See zur Schule ging, kann Sebastian Frank locker Grenadiermarsch sagen. Macht er deswegen vielleicht sogar absichtlich: Es weckt schließlich keine Fragezeichen, höchstens Erinnerungen.

Horváth statt Adlon

„Ich bin vor zehn Jahren mit meiner Frau nach Berlin gezogen, als sie eine Stelle im Hotel Adlon angetreten ist. Ich hatte dort ebenfalls bereits zugesagt und einen unterschriftsreifen Vertrag in der Tasche“, erinnert sich der 38-jährige, zweifache Familienvater, „dann habe ich über eine Bekannte erfahren, dass im Horváth ein Küchenchef gesucht wird. Es war eigentlich ein Riesenzufall, dass ich hier reingestolpert bin.“
Bekanntlich sprechen aber immer nur jene Menschen von Zufall, die sich diesen Zufall hart erarbeitet haben, und das zumeist durch Konsequenz, Besessenheit und Hingabe an das, was sie tun. Sebastian Frank jedenfalls ist heute an einem Punkt angekommen, den viele suchen, aber nur wenige finden. Er spricht mit einer souveränen Lockerheit, ob im Dialog mit Menschen oder auf dem Teller. So sitzt er in seinem Horváth, wo er sich bereits 2011 den ersten Michelin-Stern erkocht und 2015 den zweiten nachgelegt hat; er spricht laut und gewandt, ein Herrscher in seinem Reich, ein Wirt in seinem Wirtshaus, nur eben dass dieses Wirtshaus zufälligerweise eine der progressivsten Küchen des Landes beheimatet. Das rustikal- hölzerne, nahezu schlichte Ambiente des Raumes passt zu einem Koch, der mit seiner Interpretation von österreichischer Küche für Furore sorgt.

Halt! Moment! Stimmt nicht ganz! „Ich distanziere mich bewusst von der alpinen Küche. Mein Fundament ist einzig und allein die pannonische Küche aus dem Raum Wien, Niederösterreich und Ungarn“, erklärt Sebastian Frank. Tatsächlich ist mit dieser Fokussierung der Stern des Kochs erst so richtig aufgegangen. Dieser Schritt auf reine regionale Einschränkung der Zutaten ist das Fundament, auf dem seine Küche heute steht. Und diese Regionalität ist weniger politisch, als biographisch. Wenn man mit ihm spricht, erwähnt er, der in Bruck an der Leitha sowie in Neudorf aufgewachsen ist, häufig Bilder aus seiner Kindheit; das verkochte Mark des Markknochen beispielsweise, das zu Hause auf das Brot geschmiert wurde; oder wenn er sich erinnert, wie seine Mutter, eine „passable Köchin“, die ihre drei Kinder alleine groß gezogen hat, ein paar Löffel gebrauchtes Schnitzelfett in den Reis gekippt hat, um noch ein paar Geschmacksumdrehungen rauszuholen.
Wenn er dann sagt, dass ihn Gemüse aus Übersee wenig interessiere, sondern dass er doch eher der „Kartoffel-, Zwiebel-, und Sellerie-Typ“ sei, dann ist man auch bereits bei seinem Signature-Gericht (Visitkarte einer Küche, Anm. d. Red.) angekommen: der Knollensellerie. Es ist die Zutat, die wie keine zweite für Sebastian Frank steht. Nicht von ungefähr ziert die Salzsellerie, ein über Monate in einem Salzteig reifende Knollensellerie, das Cover seines im letzten Jahr erschienenen, ersten Kochbuchs kuk [cook]. Die gereifte Sellerie findet in unterschiedlichen Formen Einsatz auf dem Teller, beispielsweise wenn sie wie Parmesan über ein Gericht gehobelt wird. „80 Prozent aller Gerichte im Horváth beinhalten Knollensellerie in irgendeiner Form“, bringt Sebastian Frank die Philosophie in seinem Buch auf den Punkt.

Es geht um die Magic Moments
Auch dieser Weg zur Sellerie war nicht vorgezeichnet. Zwar hatte er vor seiner Ankunft in Berlin arrivierte Orte wie das Wiener Steirereck in seiner Vita stehen, als Küchenchef hatte er jedoch noch nicht gearbeitet. „Ich kam auch im Horváth nicht mit dem Vorsatz an, Gemüse in den Fokus zu stellen“, so Sebastian Frank, deklarierter Schweinsbraten-Freund, salopp. „Ich habe jedoch festgestellt, dass ich proteinhaltige Zutaten wie Fisch und Fleisch nicht immer in der gewünschten Qualität bekomme. Wenn also der Steinbutt aus der Bretagne in schlechtem Zustand ankommt, kann ich bis zum Abend schwer einen neuen besorgen. Wenn aber die Gurke nicht meinem Anspruch genügt, kann ich in relativer Nähe zehn Alternativen suchen. Und gewisses Gemüse wie die Knollensellerie eignet sich von der Haptik und Konsistenz besonders, um zum Hauptakteur auf dem Teller zu werden.“

Dieses Augenmerk auf das Produkt sei der eine Strang der Herangehensweise, wie seine Gerichte entstehen. Der andere ist das, was er als „Magic Moment“ bezeichnet – die Suche nach dem magischen Moment, der laut Sebastian Frank jedem Gericht innewohnt. Als Beispiel hierfür entführt er kurz in die Steiermark; bildlich gesprochen. „Weinstraße, Heuriger, Sulz mit Kürbiskernöl und Schwarzbrot, das ist mein Idealbild, wie ich Sulz essen würde“, skizziert er, „aber wollen die Leute bei mir Sulz essen, und wenn ja, auf welche Weise? Ich habe drei Jahre über diese Frage nachgedacht. Was ist für mich der Magic Moment einer Sulz? Plötzlich hatte ich die Antwort: Es ist der Moment am Ende, wenn man das Mischmasch aus Öl und Marinade mit dem Brot auftunkt. Ich brauche also ein Gericht, in dem rohe Zwiebel, Kernöl und Marinade eine Rolle spielen. Das haben wir dann umgesetzt, ohne dass direkt Sulz auf dem Teller gewesen wäre. Es gibt viele solcher Beispiele von Gerichten, die einen Kern haben, den es noch zu extrahieren gilt – und das so unverfälscht wie möglich.“
Magic Moments dieser Sorte haben sich in der kulinarischen Biographie des Sebastian Frank natürlich aufgetürmt, weswegen er in diesen zehn Jahren, die er in der deutschen Hauptstadt wirkt, rasch zu einem der führenden Köche aufgestiegen ist. Er spricht mit dem Selbstvertrauen eines kreativen Geistes, der sich längst freigemacht hat von Zweifeln, Zwängen oder gar Online-Rezensionen. Er sagt lieber lockere Sätze wie: „Olivenöl verarbeite ich im Restaurant keinen einzigen Tropfen. Olivenöl kannte ich nur, wenn wir nach Jois an den See gefahren sind und sich meine Mutter damit die Haut eingerieben hat.“

Horváth, ein Österreicher-Exil

Mit dieser Biographie und Gelassenheit passt er im Übrigen auch wunderbar in das Horváth, das schon seit Jahrzehnten eine österreichische Enklave in Berlin darstellt. Das Haus gehörte in den 1950-ern einem Salzburger, von dem die Legende will, dass er abgestürzt sei, als er in den Bergen einer Bergsteigerin Platz gemacht hätte. In den 1970ern gründeten Oswald und Ingrid Wiener das Exil, das Restaurant, aber noch viel mehr Künstlertreff war. Günter Brus zeichnete die Speisekarte, es war ein Ort, wie man ihn wohl nur im Berlin dieser Zeit antraf. Michel Würthle, damaliger Mitbetreiber, Intimus von Martin Kippenberger und heute Chef der Paris Bar, wohnt immer noch über dem Horváth. Das österreichische Gastronomen-Paar Edith Berlinger und Dietmar Schweitzer, die mit dem Jolesch österreichische Küche in Berlin verankerten und Sebastian Frank 2014 das Horváth übergaben, zählt zu seinen Mentoren.
„Ich habe mich mit der Geschichte des Hauses auseinander gesetzt, auch mehrfach Kontakt mit Ingrid Wiener gehabt“, weiß Sebastian Frank um die Wirkung des Ortes. Er selbst und sein Schaffen sind im Grunde die konsequente Fortführung dieser Tradition: radikal auf eine Art, dabei umgänglich und ohne Allüren. Und österreichisch durch und durch, wenn er sagt: „Meine Küche soll nie zu angestrengt wirken. Ich mag es nicht, wenn Essen intellektuell zu aufgeladen ist.“

Fotos: White Kitchen

Vielleicht liegt das aber auch daran, dass er mit jemanden spricht, der weiß, wie es sich angefühlt hat, als Teenager in den Neunziger Jahren auf dem Hauptplatz von Neusiedl am See auf einen orangefarbenen Bus der ÖBB zu warten. Dann vorbeizustapfen an einem Busfahrer, der wortlos mit dem Kopf nickt, und müde den Kopf an die Scheibe zu pressen, während die flache Landschaft vorbei zieht. Bereits mit 14 Jahren hatte Sebastian Frank die Kochlehre in der Küche des Hotel Wende in Neusiedl am See begonnen, wohnte im Personalwohnheim und pendelte lediglich zum Wäschewaschen an den Wochenenden nach Neudorf. Es ist im Grunde eine Zeit, die er heute noch auf seinen Tellern bearbeitet, wenn auch dreifach durch das Mikroskop der kulinarischen Avantgarde reflektiert.
So hat er aus dieser Zeit im Hotel Wende noch das Rezept seines Kartoffelteiges, das ihn auch heute noch auf seiner Reise begleitet. „Ein Kilo gekochte Kartoffeln, ein Drittel Mehl, ein Ei, ein Eigelb“, grinst Sebastian Frank, der überzeugt ist: „Wenn es wichtig genug ist, merkt man es sich. Wenn nicht, war es vielleicht nicht wichtig genug.“
Und wie bei allen großen Köchen, wird auch seine Stimme sofort ruhiger und sein Blick ernster, wenn er von den Möglichkeiten spricht, die noch vor ihm liegen. Denn er mag vorläufig angekommen sein, fertig ist er noch lange nicht. Er ist ja auch nicht aus Zufall hier. „Es geht noch fokussierter, noch konzentrierter, noch stringenter.“
Grenadiermarsch, ick hör dir trapsen!

 

Zur Person: Stefan Adrian wuchs in Apetlon im Seewinkel auf und lebt heute als Autor („Bluffen“, „Tim Raue – Ich weiß, was Hunger ist“) in Berlin. Er ist stellvertretender Chefredakteur des Magazins Mixology.

Und wir sind froh, ihn als FIATA-Mitar­beiter gewonnen zu haben! (Anm. d. Red.)